Die Übung legte fest, dass der griechische Text zunächst übersetzt wird – und daraus folgend Fragen und Unklarheiten besprochen werden. Die Teilnehmer/innen, die übersetzen möchten, melden sich freiweillig.
Wir übersetzten Joh 1,3-14, was segmentiert folgendermaßen aussieht:
3 a πάντα δι’ αὐτοῦ ἐγένετο,
3 b καὶ χωρὶς αὐτοῦ ἐγένετο οὐδὲ ἕν (.) ὃ γέγονεν.
4 a ἐν αὐτῷ ζωὴ ἦν,
b καὶ ἡ ζωὴ ἦν τὸ φῶς τῶν ἀνθρώπων·
5 a καὶ τὸ φῶς ἐν τῇ σκοτίᾳ φαίνει,
b καὶ ἡ σκοτία αὐτὸ οὐ κατέλαβεν.
6 a Ἐγένετο ἄνθρωπος,
b ἀπεσταλμένος παρὰ θεοῦ,
c ὄνομα αὐτῷ Ἰωάννης·
7 aα οὗτος ἦλθεν εἰς μαρτυρίαν
aβ ἵνα μαρτυρήσῃ περὶ τοῦ φωτός,
b ἵνα πάντες πιστεύσωσιν δι’ αὐτοῦ.
8 a οὐκ ἦν ἐκεῖνος τὸ φῶς,
b ἀλλ’ ἵνα μαρτυρήσῃ περὶ τοῦ φωτός.
9 a Ἦν τὸ φῶς τὸ ἀληθινόν,
b ὃ φωτίζει πάντα ἄνθρωπον,
c ἐρχόμενον εἰς τὸν κόσμον.
10 a ἐν τῷ κόσμῳ ἦν,
b καὶ ὁ κόσμος δι’ αὐτοῦ ἐγένετο,
c καὶ ὁ κόσμος αὐτὸν οὐκ ἔγνω.
11 a εἰς τὰ ἴδια ἦλθεν,
b καὶ οἱ ἴδιοι αὐτὸν οὐ παρέλαβον.
12 a ὅσοι δὲ ἔλαβον αὐτόν,
b ἔδωκεν αὐτοῖς ἐξουσίαν τέκνα θεοῦ γενέσθαι,
c τοῖς πιστεύουσιν εἰς τὸ ὄνομα αὐτοῦ,
13 a οἳ οὐκ ἐξ αἱμάτων
b οὐδὲ ἐκ θελήματος σαρκὸς
c οὐδὲ ἐκ θελήματος ἀνδρὸς
d ἀλλ’ ἐκ θεοῦ ἐγεννήθησαν.
14 aα Καὶ ὁ λόγος σὰρξ ἐγένετο
aβ καὶ ἐσκήνωσεν ἐν ἡμῖν,
b καὶ ἐθεασάμεθα τὴν δόξαν αὐτοῦ,
c δόξαν ὡς μονογενοῦς παρὰ πατρός,
d πλήρης χάριτος καὶ ἀληθείας.
Die Übersetzung ging eher beschwerdefrei, als schwierige Form wurde bloß πιστεύσωσιν (1,7b) genannt, wobei es sich um einen Konjunktiv Aorist handelt. Allerdings entspann sich um μαρτυρίαν bzw. μαρτυρήσῃ in 7aα bzw. β eine kontroverse inhaltliche Debatte. Es ist keineswegs auszuschließen, dass dabei an das Schicksal Johannes des Täufers gedacht ist, der unter Herodes Antipas hingerichtet worden sein soll. Schon das Markusevangelium beginnt die Erzählung vom Auftreten Jesu so: 1,14Μετὰ δὲ τὸ παραδοθῆναι τὸν Ἰωάννην ἦλθεν ὁ Ἰησοῦς εἰς τὴν Γαλιλαίαν κηρύσσων τὸ εὐαγγέλιον τοῦ θεοῦ … Nachdem Johannes ausgeliefert bzw. gefangengenommen worden war … Das Schicksal des Täufers und dasjenige Jesu von Nazareth werden also christlich parallelisiert. Ob hier eine harte Märtyrerauffassung des christlichen Lebens im Johannesevangelium wie in der Apokalypse des Johannes vorliegt, kann bezweifelt werden. Als Möglichkeit ist sie aber vor dem Hintergrund der Makkabäerbücher real und muss dann am Text des Johannesevangeliums diskutiert werden. Dem Dozenten ist aber wichtig zu betonen, dass s. E. zum Licht-Sein des Logos bzw. Jesu auch sein gewaltsamer Tod gehört, der hier vor dem Hintergrund der Anspielung auf das Schicksal des Täufers angedeutet wird oder zumindest angedeutet zu sein scheint.
Ἦν in 1,9a knüpft an die Serie 1,1-5 an, wo vom λόγος die Rede war, auf den das ν verweist. Wegen des Gleichklangs bezieht sich ἐρχόμενον m. E. auf ἄνθρωπον, wobei aus meiner Sicht johanneisch betont wird, dass jeder einzelne Mensch gemeint ist, mithin wie zuvor schon im Judentum eine Inividualitätskonzeption angedeutet sein könnte.
Die Passage über Johannes den Täufer (1,6-8) scheint einen ansonsten kohärenten Zusammenhang zu unterbrechen, früher las man/frau das als Inkohärenzhinweis (vgl. Thyen, z. St.), es könnte aber auch als Erdung der Rede vom Logos gelesen werden, wie es Hans Weder in seiner Vorlesung zum Johannesevangelium vorgeschlagen hat, die er im SS 1981 in Zürich gehalten hat.
Eine Teilnehmerin meinte, der Logos sei im Evangelium verschwunden.
Aber schon der Prolog leistet den Übergang vom Logos zu Jesus von Nazareth, der offenbart bzw. auslegt, was es um das Göttliche ist, wie 1,18 sagt. Auch Schenk, Stichwort λέγειν, ordnet λόγος diesem Ausdruck bzw. Lexem unter. M. E. heißt die σοφία hier λόγος, weil dieses anredende und offenbarende Phänomen an Jesus von Nazareth betont werden soll.
Nachdem also der Täufer vom Licht zeugte, kann die offenbar für das Licht resonanzschwache σκοτία (1,5b) nicht mehr ihre Stabilität aufrechterhalten. Dennoch wandelt sich die Semantik von ζωὴ …, φῶς und σκοτία (1,4f.6-8) weiter. In 1,10a wird eindeutig wieder an den Logos angeknüpft, durch den alles geworden sei (vgl. 1,3), also ein Hinweis auf die Schöpfungsbeteiligung der Weisheit (vgl. Sprüche 8,22f). Und insofern kommt der Logos in das Eigene, von ihm Geschaffene, ähnlich wie beim Verhältnis Licht/Finsternis gibt es aber auch hier Resonanzprobleme: Οἱ ἴδιοι αὐτὸν οὐ παρέλαβον, die Seinen nahmen ihn nicht auf (1,11b). Es gibt aber doch welche, die ihn aufnehmen, nicht alle lehnen ihn ab – und diese erhalten die Vollmacht oder die Möglichkeit, Kinder Gottes zu sein, wohl Babys, weil sie geboren (ἐγεννήθησαν [1,13d]) werden. Mindestens eine Teilnehmerin betonte, dass damit der Passivitätsaspekt beim Zum-Glauben-Kommen betont werde. Das ist ein Aspekt, aber nicht der einzige. Denn Bezug genommen wird auf καὶ ἔσονται οἱ δύο εἰς σάρκα μίαν, und die zwei werden ein Fleisch sein (Gen 2,24), so auch in 1Kor 6 und Mk 10. Damit werden die Beteiligung von Fleisch und Blut bzw. dem Willen eines Mannes bei der Zeugung und Geburt jener Babys ausgeschlossen. Wer also allein auf das Fleisch setzt, schließt sich von der göttlichen Sphäre ab und verbleibt in Fleisch und Finsternis.
Die Lösung des Problems besteht darin, es kommt zu Kindern, Babys, weil sich der Logos mit dem Fleisch vereinigt: Καὶ ὁ λόγος σὰρξ ἐγένετο (1,14aα). Hier ergab die Diskussion, dass von Fleischwerdung die Rede sein sollte. Diese Konzeption ist nicht gegen eine Auffassung des Judentums gerichtet, nach der es sich vererbt, denn diese bestand damals nicht überall und das ist auch heute nicht der Fall. So haben sich etwa Hannah Arendt und Aharon Agus gegen eine solche Konzeption gewandt, die vielleicht in Esra/Nehemia, aber nicht im Buch Rut, wohl auch nicht bei Esther vorliegt. Im Übrigen würde sich eine derartige Konzeption nicht von derjenigen einer schlichten volkskirchlichen unterscheiden.
In 1,14aβ erscheint zum ersten Mal im Johannesevangelium die Verwendung der ersten Person Plural in der Erzählerperspektive. Das müssen wir noch besprechen. Unsere Diskussion drehte sich vor allem darum, ob ἐσκήνωσεν mit „zelten“ im Sinne des „Zeltes der Begegnung“ (Ex 26ff), Luther: „Stiftshütte“, zu übersetzen sei. Das ist eine Tübinger Auslegung des Textes[1].
Die Form ἐσκήνωσεν kommt an drei Stellen in der Bibel vor: Gen 13,12, Ri 5,17 und Joh 1,14, ob dort eine Anspielung auf die σκηνή von Ex 26ff vorliegt, lässt sich nicht ausschließen, ist aber m. E. sehr unwahrscheinlich, denn der λόγος ist klar als Weisheitsfigur erkennbar, der Johannesprolog hat daher eine Weisheitssemantik – und diese Semantik steht priesterlichen Semantiken nicht unbedingt nahe. Das wird in Tübingen gerne übersehen. Wenn die Tempelsemantik hier aktualisiert ist, dann nur so, wie Agus das für die Tempelreligiosität im rabbinischen Judentum aufgezeigt hat, der Tempel wird in die individuelle Existenz verschoben[2]. Dass auf die Sinaiszenerie angespielt wird, zeigt die Verwendung von δόξα[3] und die spätere Erwähnung von Mose (1,17a). Aber die jetzige Szenerie ist im umfassenden Sinn glänzend bzw. strahlend, was wir noch weiter verstehen müssen.
Aufgaben zur nächsten Sitzung
- Wie ist das sprachliche Verhältnis von λόγος, ζωὴ … und φῶς zu bestimmen? Wie verhält es sich mit σκοτία und σὰρξ …? Ebenso wäre es gut, wenn Sie das Verhältnis von οὐ κατέλαβεν, οὐκ ἔγνω und οὐ παρέλαβον bestimmten. Hilfreich sind dabei die rhetorischen bzw. poetischen Figuren bei Plett!
- Wie unterscheiden sich Gen 1,1ff, Sprüche 8,22ff und Joh 1 voneinander – und worin stimmen sie überein?
[1] Vgl. ausführlich Thyen, z. St.
[2] Vgl. meine Darstellung.
[3] Vgl. dazu Magdalene Frettlöh, Gott Gewicht geben usf., 22009.