1. Zweite Sitzung zum Johannesprolog (Uni Hd)
Es gab Rückfragen zu dem Interpretationsansatz des Dozenten zu seiner Lektüre von bestimmten Zeichen als Existenzmetaphern. Aus καὶ ἡ ζωὴ ἦν τὸ φῶς τῶν ἀνθρώπων (1,4b) dürfte das folgen. Die ζωὴ … erleuchtet die Menschen. Zugleich zeigt der Rückbezug in 1,4a, dass der λόγος als göttlicher Aspekt des Kosmos auf diese Kette von Wortspielen bezogen ist. Die Rede von den „Existenzmetaphern“ folgt daher dem Grundzug der Interpretation Bultmanns im Johanneskommentar und dem Johannesteil seiner „Theologie des Neuen Testaments“. D. h., dass der Gottesbezug der Menschen metaphorisch ausgedrückt wird, ebenso aber auch die Verschlossenheit gegenüber Gott in σκοτία und σάρξ.
Die Sitzung war dann weithin der Besprechung des Übersetzungsvorschlags von Hartenstein/Petersen in der „Bibel in gerechter Sprache“ gewidmet.
Der Versuch mit „im Mutterschoß des Vaters“ (1,18) kann als symmetriebetonter Versuch gewertet werden, der auch durch 1,13 angestoßen sein könnte (jedenfalls dadurch gerechtfertigt werden kann), bei dem vielleicht Geschmacksfragen gestellt werden dürften. Ebenso fällt das aus antiken Texten, die Hartenstein/Petersen mutmaßlich kennen, nicht heraus.
Der Dozent bemühte sich, die Beteiligung möglichst vieler Teilnehmerinnen zu erreichen. Dabei geht es vor allem um die unübersetzt gebliebene Passage: … ἐκεῖνος ἐξηγήσατο. Es wurde zunächst ein wenig geraten, ob die Übersetzung irgendwie aus dem Griechischen erklärbar sei: … jener ist uns vorangegangen. Hartenstein und Petersen erläutern das nicht, der Hinweis auf 20,17 zeigt, dass sie meinen, dass die Weisheit wieder zum „Vater“ zurückkehrt. Wir sahen uns 14,2 an, wo Jesus schildert, dass er nach seiner Rückkehr zum Vater, „Wohnungen“ für seine Schüler/innen schaffen werde.
Tatsächlich lautet der Text: Jener hat (ihn) (uns) ausgelegt. Das gilt m. E. auch für die Weisheitsvariante. Denn zumindest in Weisheit 6-9 ist das so. Im Judentum ist es also möglich, zum einen die Beteiligung der Weisheit an der Schöpfung zu betonen, zum anderen aber den Sachverhalt hervorzuheben, dass sich die Menschen der in der Schöpfung präsenten Weisheit verschließen. Darauf reagiert die Weisheit durch Offenbarungsinitiativen.
In der Sitzung wurde erörtert, ob es nötig und/oder berechtigt sei, diesen letztlich auf Jesus von Nazareth bezogenen Aspekt zu eliminieren. Jede/r sollte sich diese Frage vorlegen, ob durch die Judenverfolgung das Christentum das Recht verloren hat, eine eigene Stimme zu erheben. Denn das ist schon der Sinn des Johannesprologs.
Die Grundidee ist stark, dass an der Schöpfung etwas beteiligt ist, das dann erlösend tätig wird, sofern jenes Etwas verkannt wird, in der Finsternis oder im Fleisch. Sicherlich bietet das Johannesevangelium durchaus auch Anregungen zu einem trinitarischen Zugang, da in den Abschiedsreden der Geist thematisiert wird.
Für die Frage, ob der Logos männlich ist – und Christus als männliche Erlösungsfigur verstanden wird, der durch die Weisheit ersetzt werden muss, ist darauf zu verweisen, dass der Prolog zeigt, dass grammatisches Geschlecht nicht notwendig auch sexuelles Geschlecht oder eine Genderkonnotation bedeuten muss. Das Spiel mit dem Leben bzw. der Lebendigkeit, die das Licht der Menschen sei, zeigt das m. E. Diese Urteile sind ohnehin stark sprachrelativ.
Wichtig ist, dass es nicht notwendig erscheint, stets maskuline Zeichen zu verwenden, sondern dies z. B. symmetrischer zu gestalten.
Für die Frage, ob die Weisheit wirklich Materie werden muss, um die Materie zu erlösen, reicht mein Verständnis nicht. M. E. steckt ein stark spiritualistisches Verständnis der Weisheit dahinter, welches keine sinnlichen oder materiellen Aspekte enthält. Z. B. Sprüche 8,22ff sagt das Gegenteil. Bezieht man/frau das nur aufs Denken, so ist klar, dass heute niemand mehr leugnet, dass bestimmte intellektuelle Prozesse jedenfalls auch bestimmte chemische oder elektrische Vorgänge einschließen. D. h., selbst bei einer gnostischen Vision der Weisheit finden solche Prozesse statt. Aus semiotischer Perspektive muss das auch sein, weil jedes Zeichen einen materiellen Aspekt hat (Laut, Bild, Geruch usf.). M. E. sind Materie und Weisheit immer schon zusammen. Die Hypothese von Hartenstein/Petersen besteht darin, dass es Spiritualität ohne materielle Aspekte gäbe.
Bezieht man die Gefühle ein, dann spüren wir diese jedenfalls auch körperlich, z. B. dass die Gesichtsfarbe sich ändert, der Herzrhythmus spürbarer wird oder im Abdomen bestimmte Vorgänge spürbar werden.
Aufgaben zur nächsten Sitzung
- Übersetzen Sie Mk 10,17-31!
- Vgl. Sie die Lutherübersetzung und diejenige in der „Bibel in gerechter Sprache“! Sehen Sie auch nach, ob Magdalene Frettlöh etwas dazu hat!
- Warum verläuft der Text über die Reichtumsproblematik zum „Haus“? Vgl. Sie dazu auch Mk 10,1-16!
- Wie sehen die „Häuser“ aus, welche die Jesus Nachfolgenden erhalten, wenn sie ihr bisheriges Haus verlassen haben?
- Welch eine Sprache wird gewählt, um die „Häuser“ der Nachfolgenden zu beschreiben?