Die Philosophie Ernst Blochs ist möglicherweise noch nicht ausdiskutiert. Zwar hat er keine ganz große Schule gemacht. Vgl. den Wikipedia-Artikel. Doch die Aufnahme von Literatur der poetischen Form, aber auch der Bibel ist eine interessante Form, die sich in der Nachfolge von Platon bewegt, der neben der subtilen Argumentation stets auch „Mythen“ (μῦθοι [mythoi]) erzählt; vgl. hier. Die späte Schrift Atheismus im Christentum zeigt dies in reifer Gestalt, in der sich der Jude Ernst Bloch mit Teilen der Bibel auseinandersetzt, diese gewichtet – und für philosophisch relevant hält. Ähnlich wie Platon weiß er bzw. glaubt zu wissen, dass bestimmte Argumentationsformen nicht schlüssig sind, sondern beim Problem der realen Möglichkeit enden: Es kann so sein, aber es muss nicht so sein. Das ist bei Bloch sehr stark, denn er meint ja, dass dasjenige, um das es gehe, erst im Werden begriffen ist. Neben die philosophische Spekulation tritt also die interessierte Bezugnahme auf literarische, künstlerische, soziale und religiöse Utopien bzw. mit demjenigen, was er dafür hält.
Die erste Sitzung befasst sich mit dem „Vorwort“ von Atheismus im Christentum (17-25). Um Blochs Vorgehen zu verstehen, muss man die Mottos auf S. 16 genau zur Kenntnis nehmen, diese werden im „Vorwort“ variiert. Der Sprachstil ist bewusst vorwärtsdrängend gehalten, die Sätze sind oft elliptisch, die gewöhnliche Wortstellung ist häufig verändert. Der Text ist anspielungsreich – und meinungsstark. Bloch war ein sehr intelligenter und gebildeter Polemiker. Er versucht, die Leser/innen in seinen utopischen Diskurs einzubeziehen. Der aphoristische Stil des Buches zeigt die Offenheit des Weltprozesses, wobei Bloch als Telos des Weltprozesses das „Reich der Freiheit“ (Marx) ansieht.
Blochs Text ist von dem Gegensatz von „unten“ und „oben“ bestimmt. Wo die biblische Religion ähnliche Muster aufzuweisen scheint, gilt sie Bloch als „Spiegelbild“ der hierarchischen sozialen Verhältnisse, eine Aufnahme von Xenophanes, Feuerbach, Marx usf. Aber in der Bibel gibt es auch ein „Vorwärts, Voruns“, das ist eine horizontale Metaphorik (18, vgl. 17), die verzeitlicht wird, also auf ein „Futurum“ verweist, indem Menschen zu sich selbst kommen, ihre zukünftige Identität finden (25). Diese Pointe findet er in der Auszugstradition des Exodusbuchs, dem Text, der für die jüdische Auffassung grundlegend ist, weil JHWH die in Ägypten Sklavendienst leistenden Israeliten aus dem Sklavenhaus befreit. Eine nette Pointe ist die Interpretation der Gottesrede im Blick auf dessen Namen: ה אֶֽהְיֶ֖ה אֲשֶׁ֣ר אֶֽהְיֶ֑ה (ähäjä aschär ähäjä [Ex 3,14]) soll besagen, dass Mose den Israeliten sagen soll, der Gott, der sie befreie, sei der „Ich werde sein, der ich sein werde“. Diese Übersetzung ist möglich. Damit ist das Futurum in Gott gerutscht. Atheismus besagt also, dass die Menschen sich aus allen Abhängigkeiten befreien, indem sie auf eine utopische Zukunft setzen (und nicht aufgeben). Dieses Zukunftsmodell zeigt sich schon in der Gottesbezeichnung des Gottes des Exodus. Ähnlich soll es sich beim „Menschensohn“ verhalten, der die wichtigste Charakterisierung Jesu in den ersten drei Evangelien ist. Darin ist Bloch zufolge der Unterschied zwischen Gott und Mensch im Sinne des „Oben“ und „Unten“ ausgestrichen, das Futurum zeigt sich in der Auferstehung und dem kommenden Reich.
Bloch meint also, dass sich bestimmte Teile der Bibel atheistisch lesen lassen – und will sie als utopisches Potenzial für seine philosophischen Erwägungen zu einer Auffassung vom Seinkönnen bzw. Identischwerden als traditionelle Anregung oder Inspiration gewinnen.
Bloch ist 1968 also noch der Auffassung, dass die Arbeiterbewegung sich durchsetzen könne. Aber besser ist es, wenn möglichst viele Gehalte der Bildung entsprechend interpretiert werden, Bloch spricht von „Ketzern“. Es gibt also neben den „Mären“ (20 u. ö.) biblische Texte, die kein Opium des Volkes oder für das Volk sind.